Quiero Ser

Kurzfilm von Florian Gallenberger, Deutschland 1999, 34 min - Montag, 26.11.2001, 20.00 Uhr; Tarkowski-Saal

   

Die beiden Brüder Juan und Jorge wachsen elternlos auf den Straßen von Mexico City auf. Sie halten eng zusammen, verdienen sich mit Straßenmusik ein paar Pesos und sparen, was irgendwie geht, um sich ihren Geschäftstraum zu erfüllen: einen Luftballonstand. Doch dann kommt ihnen die Liebe dazwischen. Jorge, der Ältere, verliebt sich in eine Eisverkäuferin. Er plündert die gemeinsame Kasse, um sich ein Hemd kaufen und das Mädchen in ein Straßenrestaurant ausführen zu können. Juan kann diesen Vertrauensbruch nicht verwinden und verlässt den Bruder. Nach vielen Jahren begegnen sie sich wieder...

H i n t e r g r ü n d e

Perücken, Pest und Pesos -
Drei junge Filmemacher aus Berlin haben ein Ticket nach Los Angeles - und hoffen auf ihre erste Auszeichnung

Brigitte Böttcher

Es ist wie in einem schlechten Film. Florian Gallenberger steht mit dem Gesicht zur Wand in einer dunklen Seitenstraße in Mexico City, im Rücken ein Maschinengewehr, dahinter zwei Einsatzwagen der Polizei. Dorthin verfrachten ein paar Männer in Uniform gerade sein ganzes Equipment: Kameras, Scheinwerfer, Mikrofon. Das war's jetzt, denkt er, vergiss deinen Film und fahr nach Hause. Es ist der siebte Drehtag, spät am Abend, und es ist nicht das erste Mal, dass er das denkt. Nicht das erste Mal, dass eine Drehgenehmigung nicht anerkannt wird, dass die üblichen Bestechungsgelder nicht gereicht haben, dass die Polizei ihm auf den Fersen ist.

Auf der anderen Seite des Atlantiks stehen Annette und Steffen Schäffler in einem Studio in London und haben ganz ähnliche Gedanken: Das kann nicht sein. Aus und vorbei. Monatelang haben sie an dem Set für ihren Puppentrickfilm gebastelt, zehn Meter lang und vier Meter breit ist ihr Modell eines Londoner Stadtviertels geworden, gerade sind sie damit in einem Lieferwagen in England angekommen - und nun ist das gemietete Studio einfach zu klein. Wie sollen sie auf die Schnelle ein anderes auftreiben?

Nach Hause gefahren ist damals keiner von ihnen, zum Glück. Denn am Ende sind in Mexiko und England zwei wunderbare Filme entstanden, die heute mit Preisen nur so überhäuft werden. Nun sind beide für einen Oscar nominiert: "Quiero Ser" von Florian Gallenberger in der Kategorie "Kurzfilm - real" und "The Periwig-Maker" von Annette und Steffen Schäffler als "Kurzfilm - animiert". Dabei hatten in beiden Fällen die scheinbar unlösbaren Probleme schon in Deutschland begonnen, lange bevor das erste Bild im Kasten war: Weder Gallenberger, 29, noch die Geschwister Schäffler, beide Anfang dreißig, konnten auf Anhieb die Filmförderstellen von ihren Ideen überzeugen - nicht zuletzt, weil beide Filme im Ausland, also unter schwierigen Bedingungen, und in fremder Sprache gedreht werden sollten.

In "Quiero Ser" ("Ich will sein") träumen zwei Brüder in Mexico City vom Aufstieg aus dem Elendsviertel. Als der Ältere einen Teil des mühsam gesparten Geldes klaut, um ein Mädchen zu beeindrucken, verlässt der Jüngere ihn - und verwirklicht den Traum alleine. Ein wenig kitschig klingt die Geschichte schon. Und auch das war ein Grund für Geldgeber wie den Bayerischen Rundfunk, das Projekt zunächst nicht zu unterstützen, erzählt Gallenberger. Dabei hat er seine Story um menschliche Grundkonflikte, um Vertrauen und Verrat im Gegenteil angenehm zurückhaltend umgesetzt. "Man muss ja nicht mit Großaufnahmen noch auf den Gefühls-Impuls hinweisen." So schafft er es, ganz unsentimental eine Geschichte mit tiefer Moral zu erzählen, wie sie im deutschen Kino kaum mehr vorkommt. "In Amerika gehen solche Mythen noch", meint Gallenberger, der letztes Jahr in Los Angeles für "Quiero Ser" schon den Studenten-Oscar bekam. Dass er am 25. März den Kurzfilm-Oscar auch noch gewinnt, glaubt er allerdings nicht. Der werde sicher an seine Konkurrentin Joan Stein gehen. "Ihr Film handelt vom Holocaust - und das Thema kommt drüben einfach noch besser an."

Auf die Mühen bei den Dreharbeiten im chaotischen Mexiko hat sich der Absolvent der Münchener Hochschule für Film- und Fernsehen mit "tollkühner Blauäugigkeit" eingelassen, wie er heute sagt. Die nächtliche Verhaftung ist nur eine von vielen Anekdoten, die er erzählt, anschaulich, plastisch, als sei jede davon ein kleiner Film für sich. So wie jene Begebenheit, die ihn zu "Quiero Ser" inspiriert hat. Da saß er zum ersten Mal in einem mexikanischen Bus und beobachtete zwei Straßenjungen, die während der Fahrt für ein paar Pesos Musik machten. Die Szene ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Noch auf dem Rückflug schrieb er das Drehbuch - und war fünf Monate später zwecks Recherche erneut im Land.

Eine Inspiration, die sich zur fixen Idee entwickelte, hatte auch Steffen Schäffler, als er das Pest-Tagebuch von Daniel Defoe las, auf dem später "The Periwig-Maker" ("Der Perückenmacher") basieren würde. Sofort erzählte er seiner Schwester davon, und die beiden machten sich - unter Einbeziehung der Familie und sämtlicher Talente aus dem Freundeskreis - ans aufwendige Werk. "Du fragst dich dann nicht mehr: Warum muss es gerade diese Geschichte sein? Auf einmal ist sie da. Und dann gibt es kein Zurück." Fünf lange Jahre haben die beiden gebraucht, um ihrem Hauptdarsteller aus Silikon und Latex Leben einzuhauchen. Es ist ein Perückenmacher, der sich 1665 im pestverseuchten London in seinem Laden verbarrikadiert, über den Sinn der Seuche nachgrübelt - und einem todgeweihten Mädchen die Hilfe verweigert. Der Film, der nur eine Viertelstunde dauert, ist genau das, was er werden sollte: eine technisch perfekte Visitenkarte für die Puppentrickbranche - fantastisch animiert, mit einer Dramaturgie, die man sonst nur aus Realfilmen kennt, dazu die Stimme des Schauspielers Kenneth Branagh. Doch sehen will das in Deutschland so recht keiner: Unter den 80 Festivals, auf denen "The Periwig-Maker" lief, waren nur drei deutsche. Vielleicht ist er zu düster, vermutet Annette Schäffler. "Aber Kenneth Branagh fand genau das von Anfang an gut - wie die meisten Leute, mit denen wir in England zusammen arbeiteten." Diese Leute waren es auch, die in letzter Minute doch noch ein Studio fanden, das groß genug war.

Die Geschwister Schäffler sind nicht erst seit diesem Projekt ein unzertrennliches Team: Schon ihre Ausbildungen - er Regie und Trickfilm, sie Produktion - haben sie von Anfang an auf eine künftige Zusammenarbeit hin angelegt. Die würden sie gerne in der Hauptstadt fortsetzen. "Richtig gut animierte Filme", sagt Annette Schäffler, gibt es in Deutschland einfach nicht. Vielleicht hilft uns die Oscar-Nominierung dabei, das zu ändern."

Nach Berlin ist inzwischen auch Florian Gallenberger gezogen. Er wollte hier seinen ersten Langfilm drehen, fürs Kino. Einen Produzenten hat er schon: Helmut Dietl. Die passende Idee kam ihm dann im Januar. Wieder so eine Geschichte mit mythischem Grundton, diesmal von einer tragischen Liebe. Die Handlung spielt nun allerdings doch nicht an der Spree, sondern in Indien. Die Eingebung wollte es so. "Die Dreharbeiten werden bestimmt furchtbar. Aber ich muss das einfach machen."


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Letzte Änderung am 4. November 2001